Axel Triestram
Was mir bei den Bildern meines Vaters auffiel:
Mit dem Abstand der Zeit von heute zu damals, das heißt von 1948 bis in die 60er Jahre, ist das Archiv meines Vaters natürlich rein von der Optik her sehr interessant, zeigt es doch ein Weltbild, das es in dieser Form nicht mehr gibt. Es umfasst 100.000 Negative, von denen ich nur die größeren ( 9×13 und 6×6 cm Negative) bearbeitet habe. So wartet das Archiv und gerade das Kleinbildarchiv noch auf seine Entdeckung.
Das Erreichen von Emotionen beim Betrachten einer Fotografie sollte das Ziel eines Fotografen sein. Ein Leiterwagen mit Haushaltswaren, der auf der Straße steht, und sein Angebot darbietet, ist für sich ein gutes Bild, weckt auch Erinnerungen. Das Foto könnte auch stilisiert und zur Artkunst deklariert werden, Es ist ein Dokument der Zeit.
Ein Bild mit Kindern, die in ein Schaufenster schauen, zeigt uns neben dem Zeitgeist aber auch die Kunst der Fotografie, mehr festzuhalten als nur die Struktur.
Hier wird in besonderer Weise ein Gefühl vermittelt. All die Menschen, die dieses Bild sahen, lachten und freuten sich. Der Fotograf hatte das Innere des Betrachters erreicht. Mein Vater holte sich die Kinder aus der Nachbarschaft, so wie sie gekleidet waren, stellte sie vor das Geschäft und legte los – und auch wir waren mal wieder dabei. Er hatte eine Idee.
Die Aufnahme „Kinder im Regen“ in einer Einfahrt drückt diese Lebensfreude in ähnlicher Weise aus.
Ein Ausdrucksmittel, das mein Vater mit Bedacht einsetzte, war der fotografische Standort.
Über den Handwerkern stehend, fotografierte er die Renovierungsarbeiten des damaligen größten Gebäudes in der Stadt, die Bauschule. Der Eiswagen steht im unteren Bildrand, die Bewohner gehen ihrer Wege und die Geschäfte haben ihre Jalousien heruntergelassen.
Es ist also ein warmer Sommertag. Alles wirkt vertraut und harmonisch und der Zufall (der Eiswagen), der dem Fotografen ein guter Begleiter ist, rundet das Bild ab.
Es wird eine Geschichte erzählt. Die Perspektive ist einzigartig. So finden Sie im Bildband immer wieder Aufnahmen, die sich durch eine gute Aufteilung des Bildmotivs auszeichnen. Aus diesem Grund ist bei einigen Fotografien der Originalnegativrahmen zu sehen.
Bei der Archivarbeit zu den Bildern meines Vaters fiel mir auf, wie direkt sein Zugang zu den Menschen war, zeigt es mir doch, wie sehr er gemocht wurde. Sicherlich waren die Menschen fasziniert von der Fotografie und die Fotografen waren zur damaligen Zeit schon etwas Besonderes. Die Bedienung einer Kamera, die Preise und die Lebensumstände verhinderten, dass die Fotografie einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich war. In einer Zeit, in der die Menschen sich wieder finden mussten, gab es Wichtigeres zu tun. Meinem Vater gelang es aber oft, eine Nähe zu den Menschen aufzubauen, die nicht nachlässig oder oberflächlich war. Würde und Persönlichkeit fing er mit seinen Bildern ein. Viele seiner Aufnahmen drücken dieses Empfinden aus. Ob es der Fährmann ist, der sich stolz fotografieren lässt, oder die Frau mit der Zeitung in den Händen, die meinem Vater ein gewinnendes Lächeln schenkt: All diese Eindrücke sind zeitlos. Was für eine schöne und anrührende Aufnahme ist das Paar, das einen mit Holz beladenen Handwagen bei Schnee über den größten Platz der Stadt zieht. So etwas musste man erst einmal wahrnehmen.
Dieser „kleine Raum“ Holzminden und seine Umgebung waren einerseits eine klare Einengung von fotografischen Möglichkeiten. Kein Filmstar kam vorbei, kein großes Schiff wurde vom Stapel gelassen. Ich bin überzeugt, dass mein Vater seinen fotografischen Weg auch in einer größeren Stadt gegangen wäre. Im Nachhinein betrachtet ist aber gerade diese Abgeschlossenheit des gesamten Werkes ein Zeitdokument von besonderer Güte. Zeigt es doch den Umbruch nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland. Wie ein Regenbogen überspannt die Arbeit meines Vaters die unterschiedlichsten Ereignisse und Geschehnisse. Das Archiv hat somit eine Nachhaltigkeit, die mir wichtig erscheint.
Zum Schluss möchte ich auf zwei Dinge hinweisen:
Halten Sie es mir zugute, dass ich die fotografische Arbeit meines Vaters in das beste Licht rücke, das ich finden konnte. Da ich selbst Fotograf wurde, habe ich mit viel Freude die Geschichte der Fotografie verfolgt. Über Larticue, Gernsheim, Horst, Sander, Eisensteadt, Strand, Beaton, Erfurth etc. bis hin zu Norbert Triestram habe ich vieles über die Fotografen gelesen und mir ihre Fotografien angeschaut. Somit habe ich mir, auch durch meine eigene berufliche Erfahrung, ein Beurteilungsbewusstsein zulegen können.
Bitte berücksichtigen Sie diesen Umstand.
Der andere Grund ist folgender: Ich habe mir das Recht herausgenommen, einige Bilder zu bearbeiten. So habe ich mit Filtern oder auch Unschärfen gearbeitet, um die Bilder (Negative), die durch die lange Zeit des Liegens zum Teil gelitten haben, zeigen zu können.
Der Herausgeber ist der Sohn des Fotografen. Er ist selber Fotograf und war über einen langen Zeitraum als Werbefotograf tätig.